POSITION

von Frauke Röth

 

 

 

 

gekürzte Fassung, publiziert bei Bund für Heimat und Umwelt: Grün modern – Gärten und Parks der 1950er bis 1970er Jahre, Bonn 2013

Die neuen Herausforderungen der Denkmalpflege in Potsdam

Komplexität und Widerspruch einer zeittypischen Debatte

Die Potsdamer Situation

 

„Vor den Luftangriffen am 15.April 1945 war Potsdam eines der bedeutendsten, fast vollständig erhaltenen barocken Stadtkunstwerke in Deutschland....Das Gesamtkunstwerk Potsdam ist zu definieren in der Einheit planmäßiger Stadtentwicklung, sowie bau-, bild- und garten-künstlerischer Schöpfungen in einer Synthese mit der umgebenden Park- und Kulturlandschaft des 17. bis 20. Jahrhunderts. Das Gesamtkunstwerk greift damit über die Stadtgrenzen weit hinaus.“ (KALESSE, KARTZ, PETERSEN, 1991, S.2548)


Mit dem barocken Gesamtkunstwerk hat die Potsdamer Denkmalpflege umfassende Verantwortung für ein seit 1991 ausgesprochenes Unesco-Weltkulturerbe. Geradezu überwältigend ist, trotz der Zerstörung eines großen Teils der Potsdamer Innenstadt, wie viel historische Bausubstanz ganz selbstverständlich das Stadtbild weiterhin prägt.


Dieser großen Verantwortung und Herausforderung versucht die Denkmalpflege gerecht zu werden und die Aufgaben zu bewältigen. Der Fokus liegt auf den Architekturen des 17. bis 19.Jahrhunderts. Auch einige Bauten der Weimarer Republik wurden unter Denkmalschutz gestellt. Die Zeitschicht einer mittlerweile besonders „schutzbedürftigen“ (M. Escherich) Architektur, fällt dabei aber komplett heraus. Der Schutz der Bauwerke der Nachkriegszeit. Zu sehr ist man damit beschäftigt, dem Bild des perfekten barocken Gesamtkunstwerks gerecht zu werden und gerät immer mehr in die Problematik, Potsdams Innenstadt in ein Museum zu
verwandeln.


Das historische Zentrum Potsdams wurde bei den Luftangriffen 1945 sehr stark zerstört. Für den Ort, an dem 1959-60 die Ruinen der Zerstörung beseitigt wurden, erarbeitete man in den 1970er Jahren, ein vom Zeitgeist geprägten, sozialistischen Städtebau, der sich an den Idealen der Moderne orientierte. Das Herzstück dessen ist der 1977-78 erbaute Staudenhof. Der Staudenhof ist ein Kind seiner Zeit, mit hohen architektonischen Qualitäten. Bestehend aus zwei Solitärgebäuden, einem Hof und Außenanlagen, ist es ein Ensemble, das die Integration von Landschaft in die Architektur, im Stadtzentrum, als modernen städtebaulichen Ansatz, erlebbar macht (Anmerkung 1). Die besondere städtebauliche Gestaltung setzt sich aus drei wichtigen Elementen zusammen. Das erste Element, das „Haus des Reisens“, es wurde bereits 2009 abgerissen. Der zweite Teil ist der Komplex des Staudenhofs, er wartet darauf 2017-18 abgerissen zu werden. Das ehemalige Interhotel am Eingang zur Stadt, der dritte Teil, soll von der Stadt gekauft  werden, damit diese es rückbauen kann.

 

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Staudenhof ist der Potsdamer Landtag, mit der neuen Hülle, die der Knobelsdorffschen Fassade möglichst originalgetreu nachempfunden ist, bereits äußerlich fertiggestellt. Im kommenden Jahr soll er bezogen werden. Die Akzeptanz in der Potsdamer Bevölkerung ist groß, offenbar kann sie sich gut mit dieser Architektursprache identifizieren (Anmerkung 2, Forsa 2007). Die Stadt freut sich über die Wiedererlangung dieses architektonisch besonders gepriesenen Juwels aus dem 18.Jahrhundert. Als weiterer Baustein der historischen Innenstadt, arbeitet man an der Rekonstruktion des Palast Barbarini und
plant den Aufbau der historischen Blockrandbebauung auf den Flächen des dann  abgebrochenen Staudenhofs.


Was erwartet man sich von dieser Architektur?

 

Philipp Oswalt meint im Bezug auf die vergleichbaren Entwicklungen in Berlin:
„Für die klassische Phase der Moderne in den 1920er Jahren war Utopie die Vision von einer anderen, besseren Zukunft. In Berlin der letzten 20, 30 Jahre entwickelte sich ein anderes, rückwärtsgewandtes Konzept von Utopie. Die Utopie adressiert nicht mehr die Zukunft, sondern die Vergangenheit. Am liebsten würde man die Dinge ungeschehen machen, was angesichts der deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert eine verständliche Sehnsucht ist. Da dies unmöglich ist, versucht man, den Anschein zu erwecken, als hätten sich Dinge nicht ereignet....Vielmehr will man bestehende Spuren und Repräsentationen der Vergangenheit auslöschen und durch neue Repräsentationen ersetzen. Diese neuen Geschichtsbilder und
Narrative sollen das Identitätsverständnis der Gesellschaft verändern.“ (Oswalt 2011)


Es ist eine Theorie die die ungebremste Tilgung der Nachkriegsarchitektur, und das Bestreben alte Gebäude zu rekonstruieren, erklären kann. Dieser Umgang mit Geschichte ist jedoch äußerst fragwürdig.

 

Vielmehr ist es wichtig die Geschichte nicht zu verdrängen, sondern einen Umgang mit der Geschichte zu finden. Interessanter Weise gilt Deutschland international als Vorbild für die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Das spiegelt sich in dieser neuen Utopie nicht wider. Abgesehen davon, dass Geschichte ausgeblendet wird, ist unklar wohin diese Utopie führen soll.


An der Stelle, wo eine Zeitschicht ausgelöscht werden soll, müsste der Denkmalschutz greifen. In Potsdam ist die Fokussierung auf die barocke Architektur für die Denkmalpflege verführerisch, doch die wenigen herausragenden architektonischen Zeitzeugen der Nachkriegszeit sollten dringend geschützt und für die Nachwelt erhalten werden. Zeigen sie doch auch die Wunden, die das DDR-Regime der Stadt, als Zerstörung nach der Zerstörung, zugefügt hatten und geben andererseits der konträren Architekturauffassung einer neuen Zeit Raum. Darüber hinaus bliebe die Bedeutung beider städtebaulich und geschichtlich besonderen Einschnitte für die Bewohner, aber auch für die Touristen Potsdams, sichtbar und erlebbar.

 

Die neuen Herausforderungen für die Denkmalpflege

 

Denkmalwerte kommen nicht aus dem Objekt selbst heraus, sie müssen ihm sozial zugewiesen werden. (Haupt 2013) Die Wertigkeit zu definieren, ist nun die Herausforderung der Gesellschaft und der Denkmalpflege. Auch wenn es eine Mehrheit gibt, die den Wert der Architekturen noch nicht erkennt, muss die Denkmalpflege sachlich und ohne Vorbehalte die Gestaltungen der Geschichte prüfen, abwägen und urteilen.


In mehreren Fällen, in denen die Denkmalbehörden ihren Aufgaben nicht gerecht werden, versuchen Initiativen einen Teil der Aufklärungsarbeit und Dokumentation zu erarbeiten und nachzuholen. Das passiert auch in Potsdam. So gibt es zum Beispiel nun für Potsdam eine Dokumentation der besonderen Werke der Nachkriegsarchitektur als Buch zu kaufen. (HAJDU; TESSIN 2011) Von verschieden Initiativen, wie Localize und Metropolar, gab und gibt es Festivals und Events, die leerstehende Gebäude nutzen und darüber die Qualitäten der Architektur vermitteln. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit der Geschichte, der Stadt, der Architektur und mit den Planern eine wichtige Rolle. Von der Seite der Denkmalbehörde gibt es aber kein Interesse und keine Unterstützung der Aktivitäten.


Die Problematik des Denkmalschutzes ist bei der Nachkriegsarchitektur vielschichtig. Gerade in Potsdam begründet man den Abriss oft mit den technischen Schwierigkeiten die sich beim Erhalt eines Gebäudes zeigen. Darüber hinaus gibt es die Problematik der Energieeinsparung. In diesem Bereich warten Plattenbaukonstruktionen und Betonbauten mit schlechten Wärmedämmwerten auf. Damit gelten die Gebäude als zu sanierungsbedürftig und finanziell nicht tragbar. Tatsächlich stellen sich mit den neuen Denkmalanwärtern neue Heraus-forderungen, da die Konstruktionen und Materialien sich verändert haben. Die Aufgabe der Denkmalpflege und der Fachleute ist es, sich nun diesen Herausforderungen zu stellen, wie
sie es bei anderen anspruchsvollen schützenswerten Denkmälern tut. Mit ihren vorproduzierten Elementen, steht die Architektur auch für die Egalisierung der Nutzer und spiegelt damit den Zeitgeist der Nachkriegszeit in Ost und Westdeutschland wider. Dies steht für den  demokratischen Anspruch der Politik und der Gesellschaft, der immer wieder betont wird. Damit kann und will sich aber heute nicht jeder identifizieren. Hier steht das Interesse der Politik, der Gesellschaft und der Finanziers öfter den Interessen der Fachleute entgegen und damit auch den Denkmalschützern.

 

Die Architektur der Innenstädte ist die wichtigste Repräsentationsfläche der politischen und
gesellschaftlichen Ansprüche. „Die modernen Massenbauten kommunizieren in den Städten auch immer die Herrschaft der Masse.“(FISCHER 2011) Eine Herrschaft der Masse oder eine Architektur für jedermann, ist eigentlich eine andere Formulierung für soziale Ideale oder eine soziale Utopie, für die die Architektur der Massenbauten steht. Das passt vielleicht nicht in die heutige Zeit. Zumindest scheinen sich Potsdamer Mäzene, wie Hasso Plattner oder Günther Jauch, besser mit monarchischen Bildern zu identifizieren. (METZNER 2007; FELGENDREHER 2011) Die Rekonstruktionsarchitektur repräsentiert heutzutage wieder eine elitäre Schicht. Dass der Potsdamer Landtag im kommenden Jahr ausgerechnet in ein Haus einziehen wird, das für die Darstellung der Macht eines Monarchen entworfen wurde, ist delikat.


In Ostdeutschland stehen die Massenarchitekturen heutzutage verständlicher Weise nicht nur in positiver Weise als Sinnbild sozialer Utopien. Sie sind eng verknüpft mit dem Bild der DDR-Diktatur. Die Architektur muss im Hinblick auf seine Geschichte untersucht werden. Die Zerstörungen von 1959-68, von architektonisch und kulturell wichtigen Werten, müssen losgelöst werden von der Diskussion über die Qualitäten der folgenden Architektur. Zwar wurde viel Wertvolles und Erhaltenswertes in den 50er und 60er Jahren vernichtet, doch das rechtfertigt nicht die Wiederholung der Zerstörung in der folgenden Generation an Zeugnissen der Geschichte.

 

Im Kontext der Potsdamer Debatten formulierte der Leiter des Potsdamer Instituts für Zeithistorische Forschung sehr treffend: „Die kulturelle Deutungskraft eines opferorientierten Regenerationsparadigmas hat dafür gesorgt, dass das städtebaulich zunächst utopische Projekt einer Schlossrenaissance Wirklichkeit werden konnte und zugleich die Bauten der SED-Zeit aus der schützenswerten Vergangenheit herausfielen. Ganz im Gegenteil als bloße Hindernisse auf der Freilegung einer verborgenen Vergangenheit verstanden, erleiden sie das Schicksal einer visuellen Ausgrenzung, die ihr Verschwinden als Heilung zu verstehen erlaubt, ohne dass dies bislang überhaupt Gegenstand einer öffentlichen Debatte geworden ist.“ (SABROW 2012)


Ausblick

 

Für die meisten Bauwerke kommt das Umdenken der Politik und der Denkmalpflege zu spät. Vieles Schützenswerte ist Potsdam bereits verloren gegangen. Der Omnibusverkehrshof, der allein auf Grund seiner Konstruktion schützenswert gewesen wäre, wurde 2001 abgerissen. Im Jahr 2005/06 folgte das Fernmeldeamt, 2009 das Haus des Reisens. Auch das Schuhkaufhaus und die Landschaftsgestaltung vor der Schwimmhalle am Brauhausberg sind verschwunden. Der Abriss der Schwimmhalle selbst, der baugleiche Typus steht in Dresden unter Denkmalschutz, und des Terrassenrestaurants Minsk werden wohl, trotz Gegenstimmen aus der Bevölkerung, folgen. Das Rechenzentrum und der Pavillon an der Breiten Straße werden wahrscheinlich der Rekonstruktion der Garnisonkirche zum Opfer fallen.(HAJDU, TESSIN
2011) Oftmals hinterließ der Abriss eine Brache. Eine folgende Bebauung war teilweise nicht einmal geplant, so stark ist der Wille sich vom alten, ungewollten Erbe zu befreien.


Aber der Prozess für die Denkmalämter geht weiter. Auch wenn für viele Gebäude ein Umdenken zu spät kommt, stehen doch die nächsten schützenswerten Bauten aus den 80ern und 90ern schon parat, die momentan noch nicht im Fokus sind. Die Architektur wird immer die Gesellschaft spiegeln, die diese Stadt bewohnt und formt. Die Aufgabe der Fachleute ist es, sich damit weiter auseinander zusetzen, was eine Gesellschaft ausmacht, die sich mit dieser alten Architektur schmücken mag.


Was für die Zukunft auch spannend sein wird, ist die Frage, wie lange sich das Interesse an den
Wiederaufbauten und Abrissen fortsetzen wird. Wie geht die nachfolgende Generation mit diesem Erbe der Wiederaufgebauten Architektur um. Werden die fehlenden Zeitschichten, die uns jetzt so sehr am Herzen liegen irgendwann vermisst? Wird man besondere Nachkriegsarchitekturen irgendwann wieder aufbauen?


In Berlin ist man schon dafür gewappnet, dass auch die folgende Generation eine Chance hat sich als Opfer zu gerieren. So wird auf Facebook von Marion Pfaus für 2050 schon mal zur Großen Jubiläums-Schloss-Sprengung am Schlossplatz eingeladen.(PFAUS 2012) So kann man Geschichte zelebrieren und das eigene Geschichtsverständnis und die Erfahrungen der vorhergehenden Generation, der nachfolgenden Jugend verständlich machen.

 

Anmerkungen

  1. Städtebauliche Planung: W. Berg, H. Görl; Freiflächenplanung: Hiltrud Berndt; Planung des Instituts für Lehrerbildung: Sepp Weber, W. Merz, D. Lietz, H.Gödicke; Planung der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek: Sepp Weber, H. Ebert, Peter Mylo, F. Neuendorf; Planung des Wohnhauses: H. Ebert, Peter Mylo, F. Neuendorf
  2. Fünfzig Prozent der Potsdamer Bürger sprachen sich laut einer Forsa-Umfrage 2007 für den Wiederaufbau des Stadtschlosses mit historischer Fassade aus. Dabei war der Anteil der Befürworter bei den 18-29-jährigen höher (53 %) als bei den über 60-jährigen (46 %). FORSA 2007


Literaturverzeichnis

  • Bartmann-Kompa, I.; Kutschmar, A.; Karn, H. (1982) :Architekturführer DDR Bezirk Potsdam.-Berlin
  • Felgendreher, Daniel (2011) : Potsdam Knobelsdorff ist nicht zu (s)toppen.- In: Arch+ 2011, Nr.204, S.86-91
  • Fischer, Joachim (2011): Rekonstruktivismus als soziale Bewegung - Eine architektursoziologische Aufklärung.- In: Arch+ 2011, Nr. 204, S.76-79
  • forsa/argus (2007):Ergebnisse Forsa Umfrage 2007. http://www.arguspotsdam.
    de/downloads/Ergebnisse_Forsa-Umfrage_2007.pdf
  • Hajdu, H.; Tessin, G.(2011) :Und der Zukunft zugewandt Potsdam und der gebaute Sozialismus. - Potsdam
  • Haupt, I. (2013):Denkmalschutz für Nachkriegsbauten.- In: Werk Bauen + Wohnen 10/2013, S. 10-16
  • (Kalesse, A., Kartz, M., Petersen, P. (1991) :Denkmalpflege in einem Gesamtkunstwerk.- In: Bauwelt 48/1991, S.2548-2557)
  • Metzner, Th.(2007): Plattner schenkt Potsdam das Schloss.
    http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburg/knobelsdorff-fassade-plattner-schenkt-potsdam-dasschloss/1106560.html
  • Oswalt, Ph.(2011): Rekonstruktion und Utopie Das Unbehagen in der Moderne.- In: Arch+ 2011, Ausg. 204, S.62-65
  • Pfaus, Marion (2012): Humboldt21. http://www.humboldt21.de
    Rand, A.(1943): The Fountainhead, S.12. - Indianapolis
  • Sabrow, Dr.M.(2012):Umgang mit DDR-Architektur in Potsdam Verschwindende Brüche.- In: PNN 19.01.2012, http://www.pnn.de/potsdam/615273/